„In der Ausstellung geht es ums Gehen. Konkret ums „Gehen am Berg“, so Museumsleiterin Monika Gärtner. (Foto: Knut Kuckel)
„In der Ausstellung geht es ums Gehen. Konkret ums „Gehen am Berg“, so Museumsleiterin Monika Gärtner. (Foto: Knut Kuckel)

“Gehen am Berg” – Einblicke ins alpine Leben

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Die Ausstellung erzählt vom Losgehen, vom Gehen lernen, vom Auf- und Absteigen, vom Verlorengehen, vom Gehen müssen, vom Weggehen und vom Heimkommen. Dabei kann es vorkommen, dass man auf demselben Weg marschiert, flaniert oder seine Lasten trägt.

Die Ausstellung “Gehen am Berg” im Lechmuseum entstand im Rahmen des Projektes “Hoch hinaus!” in Kooperation mit dem Alpinen Museum München und der Freiburger Hütte. Seit März 2017 ist die Ausstellung “Hoch hinaus!” in München im Alpinen Museum zu sehen. Gewidmet den Wegen und Hütten in den Alpen. Die Ausstellung im Lechmuseum spielt das “Gehen am Berg” vor überzeugender Kulisse. Für die Menschen, die am Arlberg leben, geht es seit Jahrhunderten schlicht ums Überleben.

Ausstellung “Gehen am Berg” im Lechmuseum

In stimmungsvoller Atmosphäre machen wir uns auf den Weg, um etwas über das Gehen im alpinen Raum zu lernen. Über das Losgehen, vom Gehen lernen, vom Auf- und Absteigen, vom Verlorengehen, vom Gehen müssen, vom Weggehen und vom Heimkommen.

von links, Museumesleiterin Monika Gärtner und Kuratorin Ingeborg Schmid. (Foto: Knut Kuckel)
von links, Museumesleiterin Monika Gärtner und Kuratorin Ingeborg Schmid. (Foto: Knut Kuckel)

“Wir freuen uns über das langanhaltende Interesse unserer Besucherinnen und Besucher an der Ausstellung.” Vor dem – vermutlich im Jahr 1590 erbauten “Huber-Hus” – empfängt uns die Leiterin des Lechmuseums, Monika Gärtner mit Gast-Kuratorin Dr. Ingeborg Schmid. Bei dem alten Haus gehts nicht ganz ohne Moderne. “Wenn die Ampel, draußen am Haus, auf “Grün” steht, haben wir geöffnet.”

Museumsleiterin Monika Gärtner zur Ausstellungsentwicklung: “In der aktuellen Ausstellung geht es ums Gehen. Konkret ums “Gehen am Berg”. Früher hat es für einen Ort wie Lech bedeutet, dass man immer gehen musste, um überleben zu können. Mir ist nicht bekannt, dass es je in einem Museum eine Ausstellung zum Gehen gab? Wir haben sehr viele Interviews geführt, viele Dokumente und historische Karten und Fotos angeschaut. Immer auf der Suche nach interessanten Hinweisen, die uns was erzählen. Mit unserer Kuratorin Ingeborg Schmid-Mummert und Sabine Maghörndl ist im Ergebnis dieser Ausstellungsparcours entstanden. Angelegt wie ein Weg.”

Schrittzähler für Ausstellungsbesucher. (Foto: Knut Kuckel)

Im Eingangsbereich können sich Ausstellungsbesucher vor dem “Losgehen” einen Schrittzähler umbinden. Das kleine Gerät zeigt ihnen – so sie es in Anspruch nehmen – wie viele Schritte sie gegangen sind. “Bewegungs-Apps sind im Trend”, sagt Monika Gärtner. Längs des Weges gibt es viel zu entdecken. Rosi Schnell, ehrenamtliche Museumsmitarbeiterin, führt gerade ein Gästegruppe durchs Haus.

„Was mein Vater von der Welt gesehen hat, hat er zu Fuß kennengelernt“ berichtet eine Lecherin von dessen Kriegserlebnissen. Noch immer brechen ständig irgendwo Menschen zu Fuß auf – nur um zu überleben. Auch in Lech war das Gehen am Berg über viele Jahrhunderte hinweg nicht so sehr eine sportliche Betätigung als vielmehr eine zweckmäßige Bewältigung von notwendigen Wegstrecken.

Kaffee und Kuchen. Hier in der alten Stube mit Hergottswinkel im Huber Hus. (Foto: Knut Kuckel)

Zum Auftakt gibt es erst einmal Kaffee und selbstgebackenen Kuchen. Hier in der alten Stube mit Herrgottswinkel könnten sie in vergleichbarer Runde gesessen haben. Die Brüder Emil, Otto und Hugo Huber mit ihrer Haushälterin Maria Konzett-Pircher. “Dem Weitblick der drei Huber-Brüder verdanken wir es, dass nach deren Ableben das Huber-Hus von der Gemeinde zum Museum gemacht wurde”, erzählt Monika Gärtner.

Hier schauts zum Großteil so aus, wie die vier Hausbewohner bis zuletzt gelebt haben. Die Küche bildet den historisch ältesten Kern des 2004 restaurierten Huber-Haus. Über dem schönen Ofen der Stube hängen Wollsocken und eine Mütze. Inzwischen ebenso gut gelüftet wie trocken.

Über dem schönen Ofen der Stube hängen Wollsocken und eine Mütze. (Foto: Knut Kuckel)

Ingeborg Schmid lädt mich ein, gemeinsam mit ihr auf Spurensuche zu gehen. Unser “Einlaufen” in die erste Stube beginnt mit Fühlen. Das Baumaterial früherer Zeiten war Holz, getrocknetes Moos oder Gras. Barfußgeher können auch über eine ausgelegte Grasmatte gehen. “Die Welt ist voller unterschiedlicher Temperaturen und Bodenbeläge”, steht in einer Beschreibung. Zitiert wird die deutsche Autorin und Moderatorin Sabrina Fox. Eine bekennende Barfußgeherin.

Kuratorin Ingeborg Schmid: "Die Welt ist voller unterschiedlicher Temperaturen und Bodenbeläge." (Foto: Knut Kuckel)

Dabei geht es unter anderem um das Fühlen, Tasten und Begreifen, so Ingeborg Schmid. “Der Holzboden vermittelt über die Füße ein Gefühl für das Material. Die Blockwand kann mit den Fingern tastend begriffen werden.” Landschaft wird zum Boden. Wir gehen über Bachsteine aus den früheren Flussauen der Lech.

An einem Seil hängen unterschiedlichste Bergschuhe. (Foto: Knut Kuckel)

An einem Seil hängen unterschiedlichste Bergschuhe. “Bevor man heute ein Bergsport-Geschäft betritt, ist meistens schon die Überlegung gefallen, welches Terrain die Schuhe betreten werden. Das Zielgelände bestimmt das Modell des Schuhs.”

Sehr viel früher, die am Anfang des Alpinismus anzusiedeln ist, war das noch anders. Auf einem Sockel liegt ein Paar genagelter Schuhe aus einer längst vergangenen Zeit. Darunter das Zitat einer Lecherin. “Was mein Vater von der Welt gesehen hat, hat er zu Fuß kennengelernt.” Mit nur einem Paar Schuhe.

“Zu Fuß kann man besser schauen”, soll der Expressionist Paul Klee gesagt haben. “Spazieren, marschieren, stolzieren, transportieren…”

Im oberen Geschoss betreten wir einen Raum mit zwei Bildreihen. Rechts Männer, links Frauen.

Foto: Wanderung am Tannberg, 1964 © Lechmuseum/Gemeindearchiv Lech
Foto: Wanderung am Tannberg, 1964 © Lechmuseum/Gemeindearchiv Lech

“Das ist Zufall”, sagt die Kuratorin der Ausstellung. “Hat sich so spontan ergeben. Rechts u.a. ein Spaziergang in Lech in den 1930er Jahren, links der Aufmarsch zur Maibaumfeier 1933.

“Auf demselben Weg kann es vorkommen, dass der Eine marschiert, während andere flanieren oder Lasten tragen”, so Ingeborg Schmid-Mummert. Sie hat bei ihren Vorbereitungen zur Ausstellung in enger Zusammenarbeit mit Museumsleitung und Museumsteam Konzepte erdacht und erörtert. Berater in Fragen der Baustoff-Verwendung und in Handwerksfragen war Architekt Hermann Holzknecht, der uns beim Rundgang durch die Ausstellung ein informativer Begleiter war.

“Da ging es uns nicht zuletzt um Verborgenes. Verborgene Erzählungen zum Beispiel, die sich dem aufmerksamen Publikum manchmal erst auf den zweiten Blick eröffnen.”

Die Ausstellung öffnet sich auch und besonders Kinderaugen. Sie dürfen entdecken, Kreatives gestalten, Bergwelten auf einem Skizzenblatt oder in der 360-Grad-Projektion aus unterschiedlichsten Perspektiven entdecken. Wir erfahren eine Gedankenwelt, von Kinderhand geschrieben. Kostproben? – Aber gerne. “Die Kuh Liese grast auf der Bürgermeisterwiese” oder “Der große Berg dort ist ein Mehlsack” und “Ich seh die Erzberge” und “… ich die sieben Zwerge.”

Von Kinderhand geschrieben. (Foto: Knut Kuckel)

Die zusammenklappbare Gehschule der 1980er Jahre dürfte heutigen Kindern fremd vorkommen. Generationen vor ihnen durften in dem Geflecht Spielen, Laufen lernen und schlafen.

Wir lesen, “Wer mit wachen Augen durch die Welt wandert, entdeckt allerlei Eindrucksvolles längs und quer des Weges. Spuren von jenen, die hier schon unterwegs waren, aber auch die Landschaft selbst ist voller Geschichte. Man muss nur in der Lage sein, in ihr zu lesen.”

Geschichte wird begreifbar. Die Alpenvereine in Deutschland und Österreich widmen sich ihrer Geschichte. Ihren Verstrickungen mit dem Nazi-Regime. Dabei ist deren Sicht auf die Dinge oft sehr unterschiedlich. Geschichtsaufarbeitung findet statt, wie am Beispiel der “Ditteshütte”. Wer mag, erfährt beim Betrachten von Archivmaterial, dass der Alpenverein Donauland – 1924 – lange vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, im “Arierparagraphen” Mitglieder jüdischer Herkunft aus den Alpenvereinen ausschlossen.

Ein Schaukasten zeigt die Dose „Scho-ka-kola“ mit Hakenkreuz im Zentrum. (Foto: Knut Kuckel)

Ein Schaukasten zeigt die Dose “Scho-ka-kola” mit Hakenkreuz im Zentrum. Die koffeinhaltige, belebende und energiespendende Schokolade war in den 1930er Jahren auch als “Fliegerschokolade” bekannt. Sie diente unter anderem der Verpflegung der Luftwaffe. Darunter sehen wir, was die Heute-Zeit daraus macht. Die “Flying Bulls Fliegerschokolade” von 2017 knüpft marketingstrategisch an das Thema der NS-Zeit mit der “Scho-ka-kola” an. Wie alles aus dem Unternehmen, mit den zwei Bullen im Firmenlogo, geht es um Visionen von Freiheit, Sportlichkeit, Leistung.

Andere Utensilien längst vergangener Bergler-Zeiten wirken dagegen aus heutiger Sicht etwas gestrig. Etwa die Lawinenschnur. Eine rot gefärbte Hanfschnur mit Stahlkarabiner. Für die Ausstellung zur Verfügung gestellt, vom Alpenverein-Museum Innsbruck. Berühmt – und zurzeit im Lechmuseum zu sehen – ein Hüttenschlüssel des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins aus der Zeit vor 1938. Damals hatten alle Mitglieder mit einem solchen Schlüssel Zugang zu den Hütten der Alpenvereine. Der Hüttenschlüssel ist eine Leihgabe des Alpinen Museums in München.

An einem runden und vornehmen Holztisch mit eingearbeiteten Intarsien, in einer nachempfundenen Alpenhütte, lassen wir direkt und indirekt vermittelte Eindrücke aus den Pionierzeiten des Alpinismus auf uns wirken. Ein Zeitungshalter aus der Freiburger Hütte veranschaulicht, wie das “Bildungsbürgertum städtische Gepflogenheiten in die neue Alpenheimat” brachte. Wer dazu gehörte, hatte es in den Hütten jener Zeit recht annehmlich und behaglich. Andere, wie Bergführer, Hüttenwirte oder einfache Bergsteiger mussten mit der Massenunterkunft zufrieden sein. Ein Leinwandbild eines Matratzenlagers vermittelt noch heute – gefühlt – den Dunst jener Zeit.

Die Ausstellung “Gehen am Berg” gewährt sehr tiefe und und beeindruckende Stimmungen, Lebensbilder und Bräuche der wechselvollen alpinen Geschichte.

Dr. Ingeborg Schmid, Kuratorin der Ausstellung "Gehen am Berg" im Lechmuseum. (Foto: Knut Kuckel)
Dr. Ingeborg Schmid, Kuratorin der Ausstellung „Gehen am Berg“ im Lechmuseum. (Foto: Knut Kuckel)

Vor dem Besuch im Lechmuseum wusste von uns beispielsweise niemand, wozu ein hölzerner Milchtrichter gut sein könnte? – Wir lernen, “früher haben die Hirten in der Schweiz, Liechtenstein und Vorarlberg täglich in der Abenddämmerung den Alpsegen gerufen.”

Der Milchtrichter übertrug die archaisch anmutende Gebetslitanei über die Alp. (Foto: Knut Kuckel)Der Milchtrichter übertrug die archaisch anmutende Gebetslitanei über die Alp. Ingeborg Schmid-Mummert: “So weit wie der Schall des Alpsegens reichte, glaubte man, hatte das Böse keine Macht.”

Weblinks:
Lechmuseum
ALPINGESCHICHTE (Ingeborg Schmid)

Auf- und Absteigen, Weggehen und Heimkommen

Gehen am Berg – Lechmuseum gewährt Einblicke ins alpine Leben. (Fotos: Knut Kuckel)

Ich schreibe über das Landleben im alpinen Raum. Über Ereignisse und Begegnungen. Von Hause aus Rundfunkjournalist, bin ich als Grenzgänger der Regionen auch gerne Europäer.

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