„Der Aufstieg ist nichts für Bergwanderer“, warnt Seppl Sagmeister. „Nur wirklich geübte Kletterer sollten sich auf den Weg zum Griesspitzgipfelkreuz machen.“ Kletterer und Bergler kamen zur Gedenkveranstaltung „50 Jahre Griesspitzkreuz“.
Die meisten Besucherinnen und Besucher im Mieminger Gemeindesaal waren schon mindestens einmal in ihrem Leben auf der westlichen Griesspitze, andere so oft, dass sie es gar nicht in Zahlen ausdrücken können. Klaus Scharmer: „Ich war einmal oben, gemeinsam mit Konrad Scharmer. Das war vor 30 Jahren.“ Kaspar Kuprian war „ziemlich oft oben“. Gezählt hat er seine Aufstiege nie.
In seiner Einladung zu dieser außergewöhnlichen Zusammenkunft schrieb Ortschronist Martin Schmid in der September-Ausgabe der Mieminger Dorfzeitung: „Ihr werdet staunen, was sich in den 50 Jahren alles verändert hat. Wie wir älter und aus Kindern Erwachsene geworden sind.“
Vor der öffentlichen Veranstaltung trafen wir uns im Hause der Familie Schmid zum Hintergrundgespräch. „Der Abend soll nicht allein dem Zuschauen und Zuhören dienen, vielmehr dem Erzählen des selbst Erlebten oder auch nur, um wieder einmal zusammen zu kommen und Erfahrungen auszutauschen“, sagt Martin Schmid.
Die Zusammenkunft im Gemeindesaal war ein voller Erfolg für alle Beteiligten. Erinnerungen wurden wach und Geschichten ausgetauscht, kleine und große. Als die Bilder und die digitalisierten Filme auf der Leinwand zu sehen waren, wurden immer wieder Vornamen in den Raum gerufen. „Das war der Toni, schau – der Seppl, der Karl, Pepi…,“ und so weiter. Wer auch immer mit dabei war, 1966 und in den Jahren danach – bis heute – zeichnet sich durch einen geradlinigen Charakter aus. Standhaftigkeit und Verlässlichkeit.
Die Grundtugenden eines Bergmenschen. „Heute, 50 Jahre später, würde das niemand mehr so machen“, meint Seppl Sagmeister, der zu jenen gehört, die sich im Kreis der Bergler noch immer um den Erhalt des Gipfelkreuzes kümmern.
Instandsetzung Westliche Griespitze. (Fotos: Berglerverein Mieming)„Ich war im Abraumtunnel, am Knappensteig“, sagte jemand. Über die Geschichte des Bergbaus in den Mieminger Bergen sollte doch mal jemand ein Buch schreiben. Es gebe zwar die ein oder andere, meist mündlich überlieferte Geschichte, aber so richtig kann niemand erzählen, was dort – vor über 100 Jahren und mehr – dem Fels abgetrotzt wurde.
Das ist allerdings nicht so richtig. Denn heute weiß man doch sehr viel über den Bergbau in den Mieminger Bergen. Beim Aufstieg zur Griesspitze hat man immer alte Werkholztrümmer und Metallgegenstände aus dem Bergbau gefunden.
Der Dipl.-Geologe Christian Wolkersdorfer aus dem bayerischen Wendelstein hat sich mit der Geschichte des Bergbaus im westlichen Mieminger Gebirge/Tirol beschäftigt. Wolkersdorfers Arbeit ist u.a. zu entnehmen, dass man im 15. Jahrhundert auf Silbersuche war, im Mieminger Hochland. Sogar von Goldfunden wird berichtet. Der Bergbau in den Mieminger Bergen fand meist oberhalb der Baumgrenze statt, über 1800 Metern Höhe.
Auf einem Tisch waren Dinge ausgestellt, die zum Teil jahrelang Wind und Wetter auf der 2.741 Meter hohen Griesspitze trotzten. Wer wollte, konnte sogar das Originalholz des ersten Griesspitzkreuzes in die Hand nehmen, es befühlen oder im alten (2.) Gipfelbuch blättern, das auch Einträge aus den Zeiten des letzten großen Weltkrieges enthielt. Geführt wurde das Gipfelbuch ab dem 18. August 1931. Heute befindet es sich in Verwahrung des Gemeindearchivs in Mieming.
Das abgegriffene, aber noch immer gut lesbare Buch lässt uns heute noch wissen, dass zum Beispiel am 15. August 1956 Erich Schuster, Robert Gamsjäger und Walter Thaler aus Mieming ins Buch schrieben: Aufstieg 7.45 Uhr, Ankunft 9.45 Uhr. Dazu malte einer der drei konditionsstarken Bergsteiger das Wappen der Gemeinde Mieming ins Buch. Anmerkung am Ende des Gipfelbuch-Eintrags: „Abstieg wegen Geldmangels“.
Das erste Gipfelbuch wurde ab 1904/1905 geführt. Sein Verbleib ist unbekannt. Das neue, inzwischen 3. Gipfelbuch, wurde von der Bergrettung Mieming am Samstag, dem 18. Oktober 2008 wieder auf den Gipfel der westlichen Griesspitze gebracht.
Der 15. August 1956 war ein Feiertag. An diesem Mittwoch wurde überall in Tirol Maria Himmelfahrt gefeiert. Wer an diesem Tag geboren wurde, konnte heuer seinen 60. Geburtstag feiern.
„Wir haben die Dias und Fotos aus dem Nachlass von Karl Mössmer bekommen“, erzählte Seppl Sagmeister. „Dazu habe ich einen Film im Archiv des Berglervereins gefunden. Sein Titel „Die Mieminger Berge“. Dass der Film die alte Geschichte des Gipfelkreuzes der westlichen Griesspitze dokumentierte, war eine echte Überraschung und so kam es zur aktuellen Präsentation.“
Mit der Geschichte des Griesspitzkreuzes sind auch die Vereinsgeschichten des Berglervereins und der Bergrettung in Mieming verbunden. „Das war damals eine Folge der bergkameradschaftlichen Leistung aller, die sich nach dem Sommer 1966 für den Erhalt des Kreuzes verantwortlich fühlten. Schauen wir doch deshalb noch einmal zurück auf die Anfänge.
Instandhaltung des Griesspitz-Symbols / Berglerverein + Bergrettung Mieming. (Fotos: Privat / u.a. Nachlass Karl Mössmer)
Das erste Gipfelkreuz war dem „Weltfrieden“ gewidmet. Die Welt hat sich bis heute leider nicht wesentlich verändert. Eine Feststellung, die Gewicht erhält, wenn man sich mit der jüngeren Vergangenheit beschäftigt. Was sorgte im Jahr 1966 in den Nachrichten weltweit für Aufmerksamkeit?
Das war der Beginn der chinesischen Kulturrevolution, Bildung der berüchtigten Roten Garden. Militärputsch in der Zentralafrikanischen Republik. Die USA tritt in den Vietnamkrieg ein. Rebellion in Nigeria, Indira Ghandi wird Premierministerin von Indien, Krise in der EWG, Gleichberechtigung der Frauen in Frankreich. Bei der Nationalratswahl am 6. März in Österreich erreicht die ÖVP mit vier zusätzlichen Mandaten, erstmals nach dem Krieg, die absolute Mehrheit. Suharto putscht gegen Präsident Sukarno in Indonesien, Breschnew ist der neue starke Mann in der Sowjetunion. Frankreich testet Atomwaffen im Pazifik. Südspanien entgeht einer atomaren Katastrophe, als über Palomares ein B-52-Bomber der US-Luftwaffe mit einem Tankflugzeug kollidiert. England wurde Fußballweltmeister.
Hannsjörg Schennach schreibt in sein Tourenbuch: „Das Kreuz wurde in sechs Stunden zusammengebaut, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Um 18.15 Uhr war es fertig und um 20.45 Uhr waren alle gesund auf der Lehnberghütte.“ Bevor es aber wieder bergab ging, wurden die am Kreuz angebrachten Fackeln entzündet. Die Fackeln kündigten die Einweihung des Griesspitzkreuzes im Rahmen einer Bergmesse für den nächsten Tag an.
Das war am Sonntag, dem 11. September 1966. Die Gipfelmesse auf der 2.741 Meter hohen westlichen Griesspitze zelebrierte Kooperator Max Falschlunger aus Seefeld. Der inzwischen pensionierte Geistliche lebt heute im Pfarrhaus in Maurach am Achensee. „Wenn man sich die Bilder von damals anschaut, kann man es kaum glauben, dass so viele Leute diesen beschwerlichen Weg über den Knappensteig auf sich genommen haben, auch Frauen und Kinder“, so Martin Schmid.
Die Leute, die das Gipfelkreuz auf die Griesspitze trugen und dort montierten waren David Larcher, Hannsjörg Schennach, Mössmer Karl, Toni Neuner, Toni Grießer, Lois Spielmann, Karl Kranz, Franz Frauenhoffer, Herbert Schneider und Helmut Jordan.
Der Baum für das Gipfelkreuz, ein „Larch“ von 83 cm Durchmesser, wurde im Feber 1966 im Wald der Pfarre gefällt. Martin Schmid: „Damals noch ohne Motorsäge. Der Stamm wurde von Pepi Dietrich mit seinem Unimog zur Säge gebracht. Die Einzelteile für das Kreuz wurden in der „Tolln“ (Mössmer) Werkstatt in Untermieming zurecht geschnitten. Jedes Teil sollte für sich von einer Person auf dem beschwerlichen Anstieg getragen werden können.“
Jedes einzelne Teil brachte zwischen 20 und 30 Kilogramm auf die Waage. Der Längsbalken war 11,50 Meter hoch und der Querbalken maß 7 1/2 Meter. Die Balkenstärke war auf 22 x 15 cm ausgelegt. Anfertigung, Transport und Montage des Kreuzes waren eine Meisterleistung.
Die Geschwister Johann, Angelika und Irene, geb. Krug, Mongeler, erinnerten sich an die vielen Beteiligten, die mitgewirkt haben, bis letztlich das Kreuz auf dem Gipfel der westlichen Griesspitze stand. Angelika Krug überreichte dem Ortschronisten der Gemeinde Mieming eine Liste aller Namen. Manche von ihnen sind inzwischen für immer von uns gegangen. Alle Namen werden unvergesslich bleiben.
Karl Mössmer †, David Larcher, Toni Grießer †, Johann Krug, Hannsjörg Schennach †, Helmut Neuner, Fritz Seelos, Karl Höllrigl †, Kaspar Maurer †, Manfred Schleich, Ludwig Holzknecht, Toni und Manfred* Schneider (*†), Johann Holzeis, Toni Neuner †, Karl Kranz †, Ferdl Maurer †, Siegfried Plattner, Erich Krug, Hermann Plattner †, Oskar Alber †, Helmut Jordan †, Josef Weiß (Augler Pepi) †, Erich Mathis (vermutlich der Filmmann), Heinz und Wilfried Gamsjäger, Herbert Schneider, Alois Spielmann †, Bernhard Wett, Walter Thaler, Toni Post, Hermann Schneider (Holsler) †, Josef Neuner (Karler), Werner und Erna Sagmeister, Benedikt Wallnöfer †, Lois Berger, Hans Holzknecht (Jungen Seppls Hans) †, Transporte: Pepi Dietrich.
Die dokumentierte Geschichte des Griesspitzkreuzes zeugt von seiner wechselhaften Vergangenheit. Das Kreuz mit seinen Ausmaßen war über die Jahre den Launen der Natur ausgesetzt und sollte Blitz, Sturm und Schneelasten aushalten. Das ging nicht lange gut. Martin Schmid: „Das Gipfelkreuz geriet im Laufe der Zeit in Schieflage und musste wieder gerade gerichtet werden. Irgendwann hat es das ganze Kreuz umgerissen. Es lag eingeklemmt zwischen den Felsen.“
Immer wieder gab es charakterstarke Männer aus den Reihen des Berglervereins, der Bergrettung Mieming und des Alpinen Sport- und Kletterclubs Mieming, die sich um die Instandhaltung des Griesspitz-Symbols kümmerten. Die erste große Restaurierung erfuhr das Gipfelkreuz zum 10jährigen Jubiläum. Pater Willibrord las im Beisein von 23 Mitgliedern der Mieminger Bergler und der Bergrettung die Gipfelmesse.
Dazu schrieb das Imster Bezirksblatt: „Erfreulich war, dass Pater Willibrord, 59 Jahre, den Weg auf den Gipfel alpinistisch bewältigt hat und dem jüngsten Teilnehmer Reinhard Neuner (7 Jahre) Wegweiser war.“
„Der letzte größere Einsatz, der das Kreuz auf der westlichen Griesspitze vor dem Verfall retten konnte, erfolgte an drei Wochenenden im August dieses Jahres“, sagt Martin Schmid. „Auf Initiative von Seppl Sagmeister, der von seinem Sohn Michael und Mitgliedern der Bergrettung sowie auch von befreundeten Helfern tatkräftig unterstützt wurde, konnte das Kreuz so weit repariert werden, dass es wieder gerade steht und vor Sturm und Schneedruck gesichert ist. Vier Mal waren Seppl und seine Leute oben. Im Zuge dieser Arbeiten wurden einige heikle Passagen auf dem Weg über den Knappensteig abgesichert, sodass eine Begehung wieder leichter möglich ist.“
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50 Jahre Gipfelkreuz Westliche Griesspitze. (Fotos: Knut Kuckel)