Bergretter Walter Spitzenstätter (rechts) im Gespräch mit Clemens Krabacher von der Bergrettung Mieming. (Foto: Knut Kuckel)

„Still alive“ – Zeitzeugen erinnern an das Drama am Mount Kenya

„Still Alive“ – beim Doku-Drama am Mount Kenya“ handelt es sich um eine legendäre Rettungsaktion in den Bergen Ostafrikas vor 47 Jahren. Die Geschichte wurde von Reinhold Messner mit den beiden Kletterern Hansjörg und Vitus Auer verfilmt.

Die Rettungsaktion am Mount Kenya 1970 wurde von den Medien aufgegriffen. Sorgte für Schlagzeilen. Auch und besonders in Tirol. Einige Jahre später zeigte Walter Spitzenstätter im Gemeindesaal Mieming von der Aktion einen Amateurfilm. 2016 greift Reinhold Messner das Thema auf und unter seiner Regie entsteht der gezeigte Film „Still Alive“. 

Walter Spitzenstätter kam jetzt als Zeitzeuge des Geschehens nach Mieming zurück. Er war damals Mitglied der Rettungsgruppe und stand im Anschluss an die Filmvorführung für Fragen und Gespräche zur Verfügung. Ebenso anwesend war der Ötztaler Hansjörg Auer, der mit seinem Bruder Vitus die Kletterszenen im Messnerfilm darstellte. Der Sportkletterer brachte sein im November dieses Jahres veröffentlichtes Buch „Südwand“ mit. Viele nutzten die Gelegenheit, um ein Exemplar zu kaufen und von dem Spitzenalpinisten signieren zu lassen.

„Am Internationalen Tag der Berge – am 11. Dezember – feiern wir die kulturelle Vielfalt der Alpen“, sagte Monika Schmid zur Begrüßung. Die Leiterin der Öffentlichen Bücherei in Mieming lud mit ihrem Team am „International Mountain Day“ der Alpenkonvention zu „Still Alive“ in den Gemeindesaal.

Reinhold Messner erinnert sich: „Es war im Herbst 1970. Ich lag mit frisch amputierten Zehen in einem Einzelzimmer im sechsten Stock der Universitätsklinik in Innsbruck, als ein zweites Krankenbett mit einem mir unbekannten Patienten hereingeschoben wurde: ein junger Arzt, Gert Judmaier sein Name. Er war am Mount Kenya in Ostafrika abgestürzt, erfuhr ich, und im letzten Augenblick von einem eigens eingeflogenen Rettungsteam aus Tirol gerettet worden. Obwohl ich damals selbst unter einem Trauma litt – den Bruder am Nanga Parbat unter einer Lawine verloren, mit erfrorenen Füßen und zu Tode erschöpft von Einheimischen in die Zivilisation zurückgetragen –, berührte mich Judmaiers Überlebensgeschichte tief.“ (Foto: ServusTV / Ferrigato)
Reinhold Messner erinnert sich: „Es war im Herbst 1970. Ich lag mit frisch amputierten Zehen in einem Einzelzimmer im sechsten Stock der Universitätsklinik in Innsbruck, als ein zweites Krankenbett mit einem mir unbekannten Patienten hereingeschoben wurde: ein junger Arzt, Gert Judmaier sein Name. Er war am Mount Kenya in Ostafrika abgestürzt, erfuhr ich, und im letzten Augenblick von einem eigens eingeflogenen Rettungsteam aus Tirol gerettet worden. Obwohl ich damals selbst unter einem Trauma litt – den Bruder am Nanga Parbat unter einer Lawine verloren, mit erfrorenen Füßen und zu Tode erschöpft von Einheimischen in die Zivilisation zurückgetragen –, berührte mich Judmaiers Überlebensgeschichte tief.“ (Foto: ServusTV / Ferrigato)
Gert Judmaiers Kletterpartner Oswald Oelz, »Bulle« genannt, beschreibt im Film den Unfall: „Um die Mittagszeit, im Schneetreiben, querten wir die drei Seillängen über den Gratkamm zu Shipton’s Notch, einem bequemen Standplatz. Der weitere Abstieg begann mit einer Abseilstelle, die durch zwei alte Seilschlingen kenntlich war. Während ich eine weitere Schlinge einhänge, verfolgt Gert, einen Meter links von mir, mit den Augen den weiteren Abstieg, seine Linke auf einen riesigen Felsblock gestützt. Ohne reagieren zu können, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sich Fels und Freund plötzlich nach vorn neigen und abstürzen. Alles in Zeitlupe. Ich höre das Geräusch der fallenden Steine, Schreie, das rasend schnell abspulende Seil fährt durch meine Hände: In Sekundenbruchteilen ist die Haut von Fingern und Handtellern gerissen, der Sturz nach etwa zwölf Metern nur durch Gerts Aufprall auf einer Felsrippe gestoppt. Das Seil um meinen linken Arm und Ellbogen gewickelt – Gert schreit vor Schmerz –, kann ich ihn einige Meter in eine Senke hinunterlassen. Er diagnostiziert selbst einen offenen Unterschenkelbruch. Ein Stück seines Schienbeinknochens – er hat die Größe einer Streichholzschachtel – finde ich beim Abseilen zu ihm.“

Oswald Oelz hat mehrere Achttausender bestiegen und war 1970 an der legendären Rettungsaktion am afrikanischen Mount Kenya beteiligt, die Reinhold Messner als Stoff für sein vielbeachtetes Regiedebüt aufgriff.

Die Messner-Dokumentation „Still Alive – das Drama am Mount Kenya“ lässt die Zuseherinnen und Zuseher im Mieminger Gemeindesaal nicht selten die Luft anhalten. Es ist für niemanden von ihnen vorstellbar, das Gert Judmaier es sieben Tage schwerverletzt in der Wand aushält, bis er schließlich von Tiroler Helfern nach Hause geholt wurde. Oswald Oelz sagt „Ja, das war wirklich knapp. Im Grunde war es aussichtslos, aber irgendetwas kann man eben immer machen. Solange wir leben, kämpfen wir – also ich zumindest.“

Die Öffentliche Bücherei im Gemeindehaus Mieming lud gemeinsam mit der Bergrettung Mieming zum Film und zur Begegnung mit dem Bergretter Walter Spitzenstätter und dem Kletterer Hansjörg Auer ein. Unter den Gästen sah man viele bergerfahrene Kletterer. Sie und alle anderen konnten sehr gut nachvollziehen, wie spektakulär diese Rettungsaktion im September 1970 war. Immer wieder werden Bergsteiger gefragt, was es für sie bedeutet, den Tod herauszufordern. Der Arzt Oswald Oelz antwortet für die schweigende Mehrheit: „Das Leben herauszufordern. Man lebt ungeheuer intensiv, man steht wirklich unter Strom. Das ist ein sauschönes Gefühl.“

In der abschließenden Debatte mit Walter Spitzenstätter wurde u.a. am Film kritisiert, dass ein Hubschrauberabsturz nicht eingehender thematisiert wurde. Jemand fragte, wie hoch der Einsatz der Aktion war und Spitzenstätter antwortete: „Das war alles sehr teuer. Ja, zugegeben, hätte hinter der Aktion nicht viel Geld und eine prominente Familie gesteckt, wäre so etwas wohl kaum vorstellbar gewesen.“ Nach heutigen Maßstäben würde das alles ein Vermögen kosten.

In seinem, in Mieming vorgestellten Buch „Südwand“, schreibt Hansjörg Auer über Vernunft und Leidenschaft im Alpinismus. In Umhausen aufgewachsen, stand er zum ersten Mal im Alter von sechs Jahren auf einem 3000 Meter hohen Berg. Hansjörg Auer schreibt: „Ein ganz gewöhnlicher Wanderberg. Drei Jahre später vermerke ich in meinem Tourenheft den Hemrachkogel.“ Im Klappentext lesen wir über den heutigen Profibergsteiger: „Er spricht über Selbstvertrauen und Glück ebenso wie über Angst und Egoismus; erklärt, was mit einem Menschen passiert, wenn nur noch der eigene Weg für ihn zählt. Und warum Freundschaft nicht nur am Berg, sondern auch weit über das Klettern hinaus von größter Bedeutung ist.“

Hansjörg Auer, 1984 geboren, ist ausgebildeter Lehrer für Mathematik und Sport. Er begann 1996 mit dem Sportklettern und ist seit 2009 Profibergsteiger. Ihm gelangen mehrere Erstbegehungen und berühmte Routen, u.a. in den Dolomiten, in Patagonien, im Yosemite Valley, Karakorum und Himalaya. Auer war im Ötztal daheim. (Quelle: wwww.hansjoerg-auer.at)

„Sein Klettern ist so selbstverständlich“ schrieb Reinhold Messner im Vorwort des Buches „Südwand“ über Hansjörg Auer, „wie der Fisch im Wasser, der Vogel in der Luft.“

Nachtrag: Im April 2019 kam Hansjörg Auer gemeinsam mit seinen Bergpartnern David Lama und Jess Roskelley bei einem Lawinenunglück an der Ostseite des Howse Peak in den kanadischen Rocky Mountains ums Leben.

Hansjörg Auer, Südwand, November 2017, Piper Verlag, München.

“Gehen am Berg” – Einblicke ins alpine Leben

„Still alive“ – Zeitzeugen erinnern an das Drama am Mount Kenya. (Fotos: Knut Kuckel)

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